Gedankenfetzen: Sehnsucht
Laya Commenda schreibt in ihrem heutigen Newsletter „Hoch über der Wüste macht es Klick“ über einen Moment, in dem sich „eine tiefe und lang gehegte Sehnsucht erfüllt“. Beim Lesen des Newsletters bin ich gedanklich sofort im August 2010 hinter der Kathedrale von Santiago de Compostela.
Fast zehn Jahre habe ich davon geträumt, den Jakobsweg zu gehen.
Ich las Bücher darüber, sah mir Filme dazu an und besuchte Vorträge. Aber immer hatte ich Ausreden parat: Ich kann mir nicht so lange Urlaub nehmen. (Damals arbeitete ich noch in der Privatwirtschaft.) Dafür brauche ich die passende Begleitung. Ich bin noch nicht so weit.
Dann kam der Moment, in dem es mir reichte mit den Ausreden. Ich war gerade Single und wollte nicht länger auf den „passenden“ Mann warten. Ich nahm mir zwei Wochen Urlaub (mehr am Stück wurde nicht genehmigt), rechnete mir aus, von wo aus ich starten musste, um in Santiago anzukommen, und plante zwei zusätzliche Tage für das Kap Finisterre ein. Hin- und Rückflug wurden gebucht, ein passender Rucksack gekauft, und in jeder freien Minute war ich mit einem Rucksack voller Bücher zu Fuß unterwegs – damit ich mich an das Gewicht gewöhnen konnte.
Warum wollte ich unbedingt den Jakobsweg gehen?
Manche meinten, mein Antrieb sei mein Glaube gewesen. Doch nein, damit hatte es nichts zu tun. Auf meiner Reise habe ich nur wenige Kirchen besucht.
Mich faszinierte vielmehr der Gedanke, meine Tage nur mit dem zu verbringen, was ich selbst tragen konnte. Zuhause überlegte ich genau, was in den Rucksack durfte. Vom Reiseführer riss ich die Seiten heraus, die ich brauchte. Jedes eingesparte Gramm zählte. Sonst reiste ich immer gerne mit mehreren Büchern – diesmal durfte es nur eines sein. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern, welches es war.
Was mich am Jakobsweg besonders beeindruckte, war die Entschleunigung. Man sitzt nicht in einem Reisebus und lässt die Landschaft an sich vorbeiziehen, um schnell am Ziel zu sein. Man legt die Strecke zu Fuß zurück. Es geht nur so weit, wie die eigenen Kräfte reichen. Man ist unter freiem Himmel, mitten in der Natur (oder mitten in einer Stadt oder auf einer vielbefahrenen Straße).
Und genau das wollte ich erleben.
Raus aus dem stressigen Alltag.
Raus aus dem materiell überladenen Leben.
Raus aus der Bequemlichkeit.
Das Leben spüren. Mich spüren. Meine Umgebung spüren.
Und plötzlich saß ich da…
… am Platz hinter der Kathedrale. Ich hatte mir einen meiner größten Träume erfüllt. Für einen Moment stand die Zeit still, und ich nahm das Gewusel um mich herum nicht mehr wahr. Ich war so beseelt, dass ich bis heute nicht die richtigen Worte dafür finden kann.
Dieser Moment war einer der glücklichsten meines bisherigen Lebens. Und das Schönste daran: Es gibt genau von diesem Moment ein Foto von mir. Ich wusste damals nicht einmal, dass ich fotografiert wurde, und erst zuhause, als ich die Bilder auf den Computer spielte, entdeckte ich es. Was für ein Geschenk!

Alles kommt zur richtigen Zeit
Dieses Foto hat mein Freund aufgenommen. Im Frühjahr 2010 buchte ich als Single meinen Hin- und Rückflug. Eineinhalb Monate vor der Reise kamen wir zusammen. Kurz darauf fragte er vorsichtig, ob er mich auf diesem Abenteuer begleiten dürfe. Er merkte sofort, dass das etwas Besonderes für mich war. Und ja – diesen Traum teilte ich gerne mit ihm.
Heute sitze ich hier, vor mir der Newsletter von Laya. Die Sehnsucht nach dem Jakobsweg hat sich damals erfüllt. Doch die Sehnsucht nach einem einfacheren und langsameren Leben begann ab da weg mehr und mehr in mir zu wachsen. Der Samen war gesetzt.